Schlüsseldienst Märchen vom Adam Saternus

Schlüsseldienst Märchen vom Adam Saternus

Es war einmal ein Schließzylinder in Berlin

Und dieser Schließzylinder erbarmte sich eines Schlüsseldienstmonteurs, der stets in Berlin und Brandenburg unterwegs war und dem man unentwegt dieselben Fragen stellte. „Wie kann denn ein Schloss einfach so kaputt gehen?“ und „Vorhin hat es doch noch richtig funktioniert!?“ – so lauteten die Klagen, die der Schlüsseldienstmonteur landauf und landab zu hören bekam. Da fragte er einen Schließzylinder in Berlin, ob nicht er selbst sich einmal zu diesen Fragen äußern wolle.

„Aber natürlich“, antwortete das Zylinderlein; „ich fürchtete schon, es würde sich niemand auf dieser Welt dafür interessieren, wie es mir geht. Ich kam vor langer, langer Zeit in Berlin Friedrichshain an, wo man mich als neuen Schließzylinder in eine nicht überdachte Außentür eingesetzt hat. Da die Hausverwaltung jedoch keinen Wert auf gute Qualität legte, handelte es sich bei der Tür nur um ein sehr preiswertes Modell. Und so war nun ein Eckhaus an der Frankfurter Allee, mitten im Bezirk Friedrichshain, meine neue Arbeits- und Wohnadresse; also die neue Adresse eines kleinen, ärmlichen Profilzylinders 30/50 der Firma ‚ABBIS’.

An der so viel befahrenen Straße – mitten in einer Metropole, die nie schläft –, in einem Haus, an dessen Mieter sage und schreibe 175 Schlüssel verteilt worden sind, hatte ich fortan ein arbeitsreiches Leben. 24 Stunden am Tag musste ich pausenlos für alle da sein, ohne Urlaub, und ohne mich auch nur einen einzigen Tag krank gemeldet zu haben.“

Da unterbrach der Schlüsseldienstmonteur den Zylinder und sagte: „Ja, auch wir vom Schlüsseldienst Berlin müssen 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag da sein, um für die Menschen in Berlin/Brandenburg deren Schloss-Probleme zu lösen.“

„Halte ein“, fuhr ihm nun der Zylinder dazwischen: „War es nicht meine Geschichte, die Du hören wolltest?“ „Fürwohl, fürwohl!“ Und so fuhr der Zylinder fort:

„Ob im Hochsommer bei 40°C oder im Winter bei -20°C, ob bei Wind, Sturm oder Regen,

musste ich doch immer arbeiten, pausenlos, atemlos, für die 175 Schlüssel jeden Tag, die immer nur das eine von mir wollten. Manchmal, wenn die Leute auch des nachts zu mir kamen, waren sie schon so angetrunken, dass sie meinen Zylinderkern nicht mehr trafen. Und so zerkratzten sie mir mit der Zeit noch das schöne Gehäuse. Ach, tat das weh.

In der Herstellungsfabrik – weit, weit weg von Berlin – träumte ich noch von einem Haus im Grünen. Aber was ich fand, war nur Dreck, Lärm und 100.000 Autos jeden Tag. Und dann all die Schlüssel, die keine Ruhe geben wollen.“

Als ihm der Zylinder seine Geschichte erzählte, stimmte es den Schlüsseldienstmonteur traurig, und er versuchte, das kleine Schloss zu trösten, so gut er konnte. „Nein, lass’ mich!“, rief es stolz und empört zugleich: „Ich möchte nur Zeugnis ablegen, mehr nicht. Ich möchte keinen Trost, keine geheuchelte Nähe von einem, der irgendwann kommen und mich einfach austauschen wird. Ich möchte nur erzählen. Ich möchte erzählen von all den Mietern, die immerzu versuchen, mich mit dem falschen Schlüssel zu öffnen und die gar nicht merken, welchen Schaden das in mir anrichtet; dann noch all die Kinder – gerade hier in Friedrichhain –, die meinen, sie könnten einfach alles in mich hineinstecken. Und selbst wenn sie es ordentlich versuchen, bemerken sie doch nie, wenn sie vom Spielplatz kommen, den Sand an ihren Schlüsseln. Das bleibt doch alles an mir hängen! Dann noch Frau Kasupke aus dem Erdgeschoss; die alte Dame, die es eigentlich gut mit mir meinte und mich mit Unmengen von Graphit beschmierte. Aber wie sehr ich doch Graphit hasse! Ach, und so war ich schon nach zwei Jahren nicht mehr das stolze, glänzende Schloss, das ich doch einmal gewesen bin. Zwei Jahre in Berlin, und mein ganzes Zylindergehäuse war verkratzt – vorne wie hinten –, mein Zylinderkern völlig ausgeleiert und verschliffen. Und im Gehäuse sah es nicht besser aus: alles voll mit Sand, Staub, Dreck und natürlich auch Graphit! Man muss sich das vorstellen“, sagte das Schloss zum Schlüsseldienstmonteur, der inzwischen zu Schluchzen begonnen hatte und sich die Tränen wischte: „Ich war zum Schluss derart voll mit Graphit, dass es mir schon zum Zylinderkern herausquoll und die Tür hinunterlief! Können Sie sich das vorstellen? Es ist entsetzlich. Und dann noch die vielen Sandkörner, die dann auch noch den Tür-Schutzbeschlag beschädigten!“

„Wenn sie Deine Geschichte hören könnten“, sagte der Schlüsseldienstmonteur zum Schloss, „dann wäre jetzt den vielen Schließzylinder-Benutzern Berlins und Brandenburgs klar, warum ihre Hände, Schlüssel und ihre Kleidung kleine, schwarze Schmierflecken aufweisen, von denen sie nicht wissen, wo sie sie her haben.“

„Dabei ist die Antwort zu einfach“, rief das Schloss verzweifelt und hätte gerne dazu, wenn es nur welche hätte, die Arme zum Himmel gestreckt: „Graphit! Graphit gehört nicht in Schließzylinder und Schlösser mit Feinmechanik – weder in Berlin noch sonst wo auf dieser großen, weiten Welt!“

Und so endet nicht nur der Bericht eines Berliner Schließzylinders – sondern mit diesem Märchen sogar sein Leben! Als der Schlüsseldienstmechaniker bei ihm saß und seinen Worten, die immer leiser wurden, lauschte, konnte der Schließzylinder schon kaum noch arbeiten, geschweige denn, seine Schließnase richtig drehen. An manchen warmen Tagen des Vorjahres hatte er schon gedacht, er müsse ersticken. Und seine Gehäusefeder, die dritte von vorn auf der Außenseite, bei ihr hatte der Schließzylinder schon von Anfang an das Gefühl, als könne sie keiner Belastung standhalten. Gewiss sagte er sich anfangs noch: „Ein Montagsprodukt vielleicht!“ – doch nach noch nicht einmal zwei Jahren verkantete sich die Gehäusefeder mit einem der Zylinderstifte. Da war es fast aus mit unserem Schloss! Als dann ein letztes Mal die Familie Pazilaky mit ihren Kindern vom Spielplatz kam und der kleine, blonde Kuno rief: „Mama, lass’ heute mich einmal die Türe aufschließen“ – da war es endgültig vorbei.

Keine Stunde später war der Mann vom Schlüsseldienst in Friedrichshain da.

Er baute es aus und ersetzte es durch ein neues. Das Leben des Schließzylinders war kürzer, als es hätte sein müssen. Doch immerhin hinterließ es uns seine Geschichte.

Ich hoffe, Sie können nun Ihr armes Schloss besser verstehen, wenn seine Kräfte zur Neige gehen. Und selbstverständlich unterstütze ich Sie gerne dabei, wenn es heißt, vom alten Schließzylinder Abschied zu nehmen.

Ihr stets mitfühlender

Adam Saternus | Geschäftsführer bei AS Schlüsseldienst in Berlin